Raum Macht Toilette - Toilette macht Raum. Ein Gespräch
klo:lektiv: Liebe Expertïnnen aus der Praxis, schön, dass ihr zu unserem Klogespräch gekommen seid! Wie ihr wisst, sind Toiletten essenzieller Bestandteil öffentlicher Infrastruktur, während ihre konkrete Ausgestaltung beständig Gegenstand von Kritik ist und Menschen von ihrer Nutzung ausschließt. Wie ist da eure Erfahrung?
Stehurinal: Ich werde ständig besucht, aber in meiner Umgebung gibt es keine Sitztoilette, was ich schade finde für die, die mich nicht benutzen können oder wollen. Schon krass, an Partyabenden kommen oft so viele, dass ich es einfach nicht mehr schaffe. Dann läuft der Urin an mir herunter und bahnt sich seinen Weg über den Asphalt hin zum nächsten Gully oder Grünstreifen. Viele Menschen machen einen großen Bogen um mich und meine Pfützen und wirken angeekelt. Dabei würde ich eigentlich gerne von allen gemocht werden!
Zugtoilette: Die meisten setzen sich ungern auf mich, sie hocken oder balancieren über mir. Das stelle ich mir gar nicht so einfach vor, da es ja auch oft sehr doll wackelt während der Fahrt. Dabei landen dann Pipi-Tropfen auf dem Boden, dann stinkt es leider ziemlich und ich sehe nicht mehr gut aus.
Drehkreuz: Gestank ist weniger mein Problem, dafür muss man bei mir bezahlen, um eintreten zu dürfen. Außerdem müssen Menschen mit Koffer, Rollstuhl und Kinderwagen immer erst das Personal um Hilfe bitten, damit sie durch mich durchkommen. Ich stehe am Eingang einer Bahnhofstoilette und weiß ehrlich gesagt gar nicht so richtig, warum es mich gibt.
klo:lektiv: Das fragen wir uns auch immer wieder! Im Neoliberalismus wurden Infrastrukturen der täglichen Daseinsvorsoge größtenteils privatisiert, auch öffentliche Toiletten, damit sich mit ihnen Geld verdienen lässt. Menschen, die nicht ins Bild einer schicken und wettbewerbsfähigen Stadt passen, sind unerwünscht und werden durch ökonomische Barrieren oder andere repressive Mittel aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Deshalb sind auch Körper- und Textilpflege auf Toiletten oft verboten.
Schultoilette: Ha, das ist bei mir ganz anders. Ich koste nichts, und in mir wird geweint, gelacht, sich ausgetauscht, ein Päuschen eingelegt oder sich vor der Pausenhofkälte versteckt. Oft werden auch intime Geheimnisse ausgetauscht und Freundïnnenschaften geschlossen.
klo:lektiv: Ja, dass Toiletten auch solidarische und unterstützende Strukturen fördern, sehen wir nicht nur in der Schule, sondern auch in Clubs oder auf öffentlichen Plätzen. Menschen helfen sich gegenseitig, eine Toilette zu finden, oder teilen Menstruationsprodukte. Für obdachlose Menschen stellen öffentliche Toiletten sogar wichtige Infrastrukturen des alltäglichen Lebens dar. Anstatt als anonyme Räume der Notdurft präsentieren sie sich dann als Orte zwischenmenschlicher Begegnung, die einen Gegenpol zur hektischen Umgebung bilden.
All-Gender-Urinal: Uiiii, na ja, bei mir als wasserlosem Urinal geht es oft hektisch, aber vor allem sehr fröhlich und freudig zu. Das liegt wohl daran, dass ich viel auf Festivals unterwegs bin. Und vor allem, weil meine Warteschlange so kurz ist! Oft kommt es mir so vor, als würden FLINTA denken, sie könnten keine Urinale nutzen. Aufs Design kommt‘s an!
Asphalt: Bei mir pinkeln viele in der Hocke! Meist in dunklen, etwas versteckten Ecken, hinter Mäuerchen oder zwischen Autos. Ich habe ja nichts dagegen, aber ich beobachte häufig, wie gehetzt und unwohl sich Menschen fühlen, die auf mich draufpissen. Warum gibt es nicht genügend Toiletten, sodass ich überflüssig werde und ...
Klobürste: ABER WAS HAT DAS DENN NUN MIT RAUM ZU TUN?!
klo:lektiv: Nicht so kratzbürstig, liebe Klobürste! Als Geographïnnen beschäftigen wir uns damit, wie Räume gesellschaftlich konstruiert werden und welche Machtverhältnisse in ihnen eingeschrieben sind. Öffentliche Räume werden nach wie vor androzentrisch geplant, also nach cis männlichen, weißen und gesunden Körpern ausgerichtet. Die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Gestaltung und Verwaltung von Toiletten ist eng an patriarchale Herrschaftsverhältnisse gebunden. Ein feministisch-geographischer Blick auf das Thema kann das sichtbar machen und auch nichtnormativen Sexualitäten und Geschlechtern eine Stimme geben.
Wickeltisch: Das wird mir jetzt zu theoretisch. Mir sind nur zwei Dinge wichtig: Erstens, dass ich für alle Menschen – unabhängig ihres Geschlechtes – erreichbar bin und zweitens, dass ich sauber bin und es gut riecht.
Bettpfanne: Bei all der Systemkritik dürft ihr auch (Self-)Care-Arbeit nicht vergessen! Ich zum Beispiel bin wohl das gemütlichste Klo der Welt. Trotzdem komme ich oft nur zum Einsatz, wenn jemand krank ist und nicht aufstehen kann. Neulich habe ich sogar mitbekommen, dass jemand extra nichts gegessen hat, weil es ihm peinlich war, mich zu benutzen. Das hat mich traurig gemacht.
klo:lektiv: Ihr habt ja recht. Toilettenräume sind multisensorische Orte, an denen Menschen auf viele Arten fühlen. Geruch, Optik, Sounds … all das hängt maßgeblich mit unserem Wohlbefinden zusammen. Dennoch sind Toiletten und die Praktiken, die mit ihnen zusammenhängen, heute sehr schambehaftet. Dass aber geteilte Empfindungen, auch wenn sie gemeinhin negativ konnotiert sind, ein transformatives Potenzial haben können, zeigt die Geschichte feministischer Kämpfe, denen ja auch Unrechts- und Wutgefühle vorausgingen.
Kompostklo: Das kenne ich gut! Ich bin auf jeden Fall ein Ort des solidarischen Zusammenschlusses gegen den fossilen Kapitalismus. Ein paar Leute haben mich auf einem Klimacamp aus alten Brettern gezimmert und ein richtig gemütliches Häuschen konstruiert. Bei meinem Trockentrenntoilettensystem geht es nicht nur um die Verfügbarmachung von Nährstoffen, sondern um das große Ganze: unseren Umgang mit Ressourcen.
klo:lektiv: Das ist inspirierend! Die Toilette scheint ein so banales Objekt unseres Alltags zu sein, und doch können wir bei einem Blick darauf so viel über uns und unsere Gesellschaft lernen. Öffentliche Toiletten sind politische Orte, an denen gesellschaftliche Partizipation und Mensch-Natur-Verhältnisse verhandelt werden.
Und deshalb sagen wir: »Pissen ist politisch!«